„Die Rolle des Menschen verändert sich erheblich“

© Fraunhofer IPA/Rainer Bez

„Anwendungswissen ist entscheidend bei der Ausgestaltung der digitalisierten Arbeitswelt“: ein Interview mit Prof. Dr.-Ing. Wilhelm Bauer, Geschäftsführender Institutsleiter am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO und Vorsitzender des Fraunhofer-Verbunds Innovationsforschung.

Herr Professor Bauer, die Zukunft der Arbeit erforscht das Fraunhofer IAO unter anderem mit dem „Future Work Lab“. Was erkunden Sie in diesem Labor?

Das Future Work Lab ist einerseits eine Demonstrations- und Erlebnisplattform und andererseits ein Forschungslabor. Wir untersuchen und demonstrieren dort, wie sich die Arbeit im Zuge der digitalen Transformation verändert, wie sich die Arbeitsteilung zwischen Menschen und Maschinen neu ordnet und wie die Mensch-Maschine-Schnittstelle sich neugestalten kann. Ein besonderes Augenmerk legen wir auf die Lösungen im Kontext von Industrie 4.0 und hier insbesondere auf den zunehmenden Einsatz von cyber-physischen Systemen in der industriellen Arbeitswelt. Denn durch die Nutzung von vernetzten Systemen wie Tablet Computer oder Smartwatches in der Produktionssteuerung entstehen neue Möglichkeiten für eine Flexibilisierung des Personal- und Ressourceneinsatzes in Fabrik und Logistik.

Verliert der Mensch in der digitalisierten Arbeitswelt an Bedeutung?

Die Rolle des Menschen verändert sich erheblich in der näheren und vor allem ferneren Zukunft: Software, Roboter und andere automatisierte Systeme werden immer mehr Arbeiten übernehmen können – insbesondere gut formalisierte und strukturierte Arbeit. Die Menschen werden in einer neuen Arbeitsteiligkeit vermehrt konzipierende, organisierende, steuernde und überwachende Aufgaben übernehmen, körperliche Arbeit hingegen werden zunehmend die Maschinen übernehmen. Roboter werden uns Menschen nur dann „die Jobs wegnehmen“, wenn wir beim Bestehenden verharren und dieses lediglich weiter automatisieren. Neue Jobs entstehen – wie bisher auch schon – dann, wenn wir neue Produkte und Services entwickeln, wenn wir also innovativ bleiben und nicht nur das Bestehende weiter kultivieren.

Welche Chancen sehen Sie in der digitalisierten Arbeitswelt?

Nun, ich denke, die bevorstehenden Entwicklungen haben reichlich Potenzial für eine positive Weiterentwicklung unserer Arbeitswelt. Einerseits kann Deutschland als Innovationstreiber erfolgreich an der globalen Wertschöpfung partizipieren, andererseits kann die Digitalisierung dabei helfen, beschwerliche und ungesunde Arbeit durch Maschinen zu ersetzen. Wenn wir es schaffen, das Qualifikationsniveau der Beschäftigten durch gezielte Weiterbildung weiter anzuheben, dann können viele an den positiven Entwicklungen partizipieren und höherwertige Tätigkeiten übernehmen.

Welche konkreten Innovationen beschäftigen Sie aktuell am Fraunhofer IAO besonders?

Uns beschäftigt vor allem, wie sich durch Digitaltechnologien die Arbeitsorganisation und auch die Anforderungsprofile für die Beschäftigten ändern. Digitalisierte Technik hat das Potenzial, neue Möglichkeiten für eine flexiblere, also zeit- und ortsunabhängige Arbeitsorganisation zu generieren. Teleüberwachung, Teleservice und Remote-Steuerung ermöglichen es, dass Beschäftigte nicht mehr zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sein müssen, sondern Dinge beispielsweise auch von zu Hause aus erledigen können. Damit entstehen Chancen für eine bessere Vereinbarkeit von Privatem und Beruflichem. Uns interessiert zum Beispiel auch die Frage nach dem Innovationssystem in Unternehmen: Wie können Unternehmen neue Chancen entwickeln durch die Zusammenarbeit mit Start-ups oder durch die Etablierung von agilen Teams im Unternehmen? Wir untersuchen die besonderen Bedingungen solcher Organisationsformen. Wir sprechen hier von Ambidextrie.

Wo liegen im internationalen Vergleich Ihrer Ansicht nach Deutschlands Innovationsstärken in der digitalisierten Arbeitswelt?

Aus meiner Sicht sind wir in Deutschland geradezu dafür prädestiniert, die Verbindung der digitalen Welt mit der realen Welt zu gestalten. Das Internet-of-Things (IoT) ist ja die Verbindung beider Welten. Als Weltmarktführer und Produzent von Premiumprodukten beispielsweise im Automobilbereich oder im Maschinen- und Anlagenbau verstehen wir die Anwendungsfelder wie kaum ein anderer. Und gerade dieses Anwendungswissen ist entscheidend bei der Ausgestaltung der digitalisierten Wertschöpfung und Arbeitswelt. Wir haben in Deutschland eine gut funktionierende Sozialpartnerschaft. Diese ist sehr hilfreich für eine verantwortungsbewusste Ausgestaltung der zukünftigen digitalisierten Arbeitswelt. Ich denke, wir haben alle Chancen, den Wandel erfolgreich zu gestalten. Digitalisierung kommt nicht über uns, sondern ist ein von uns beeinflussbares Gestaltungsfeld. Wir müssen es nur tun!